In 1Kön 8,63-64 (und entsprechend in der Parallelstelle 2Chr 7,4-5) wird über sehr große Opfertier-Zahlen bei der Tempeleinweihung Salomos berichtet:

63 Und Salomo schlachtete als Heilsopfer23, das er dem HERRN darbrachte, 22 000 Rinder und 120 000 Schafe. So weihten der König und alle Söhne Israel das Haus des HERRN ein. 64 An jenem Tag heiligte der König die Mitte des Vorhofes, der vor dem Haus des HERRN ⟨lag⟩; denn dort bereitete er das Brandopfer zu und das Speisopfer und die Fettstücke der Heilsopfer; denn der bronzene Altar, der vor dem HERRN ⟨stand⟩, war zu klein, um das Brandopfer und das Speisopfer und die Fettstücke der Heilsopfer zu fassen.

23 o. Friedensopfer; o. Abschlussopfer; d. i. ein Gemeinschaftsopfer wie das Schlachtopfer

Zunächst muss man wissen, dass vom hebräischen Sprachgebrauch her die im Auftrag von Salomo geschlachteten Opfertiere ihm so zugerechnet werden, als hätte er sie alle selbst geschlachtet, was er natürlich nicht getan hat. Bei den hier genannten 22 ÄLäPh Rindern und 120 ÄLäPh Schafen handelte es sich um Heilsopfer (je nach Übersetzung auch Friedens-, Dank- oder Freudenopfer genannt), bei denen nur das Fett auf Innereien und Hüftknochen (bei Schafen auch der Fettschwanz) sowie die Nieren als Opfer verbrannt wurden (3Mose 3,1-5+9). Brust und rechte Hinterkeule erhielten normalerweise die Priester (3Mose 7,34). Bei der Menge der Opfertiere wurde der Anteil der Priester vermutlich auch unter die unterstützenden Leviten verteilt. Das übrige Fleisch wurde für ein Festmahl des Opfernden im Kreis seiner Verwandtschaft verwendet und stand damit für das Volk zur Verfügung. Daneben wurden aber auch noch Opfertiere als Brandopfer dargebracht, über deren Anzahl keine Angaben gemacht werden. Bei den Brandopfern wurde das nach dem vorgeschriebenen Ritus geschächtete Tier abgehäutet und zerteilt. Das Blut wurde an den Altar gesprengt und der Kopf und das gesamte Fleisch auf dem Altar verbrannt (3Mose 1,2-13).

Die zahlenmäßig angegebenen Heilsopfer verteilten sich über die 14-tägige Dauer des Tempel-Einweihungsfestes (1Kön 8,65). Bei den konventionellen Zahlen wären pro Tag durchschnittlich (22.000 ÷ 14 =) 1.571 Rinder und (120.000 ÷ 14 =) 8.571 Schafe zu schlachten gewesen. Verteilt man diese Anzahl gleichmäßig auf die im Herbst etwa 12 Stunden mit Tageslicht, so hätten pro Minute (10.142 ÷ 12 ÷ 60 =) 14 Tiere nach dem vorgeschriebenen Ritus geschächtet, zerteilt und die für Gott bestimmten Teile auf Altären verbrannt sowie die Überreste entsorgt werden müssen. Dazu kommt noch eine unbekannte Zahl von Brandopfern, die vollständig verbrannt werden mussten. Die Ansicht, dass eine solch große Menge von Tieren an einem Tag geopfert wurde, ist also völlig unrealistisch. Bei Übersetzung der ÄLäPh als „Zähleinheit 50“, ergeben sich (22 x 50 =) 1.100 Rinder und (120 x 50 =) 6.000 Schafe, bei 14 Tagen also pro Tag 79 Rinder und 429 Schafe. Dies ist eine Anzahl, die an einem Tag tatsächlich geschlachtet und für das Opfer vorbereitet werden konnte.

Zum Vergleich können die Opferzahlen bei der Reinigung und Neueinweihung des Tempels durch Hiskia in 2Chr 29,32-35 herangezogen werden.

32 Und die Zahl der Brandopfer, die die Versammlung darbrachte, war siebzig Rinder, hundert Widder, zweihundert Schafe, diese alle als Brandopfer für den HERRN. 33 Und die heiligen Gaben ⟨betrugen⟩ sechshundert Rinder und dreitausend Schafe. 34 Es waren zu wenig Priester ⟨vorhanden⟩, sodass sie nicht allen Brandopfern die Haut abziehen konnten. Daher unterstützten ihre Brüder, die Leviten, sie, bis das Werk vollendet war und bis die Priester sich geheiligt hatten. Denn die Leviten waren ⟨mit⟩ redlichem Herzen ⟨bemüht⟩, sich zu heiligen, mehr als die Priester. 35 Auch gab es Brandopfer in Menge mit den Fettstücken der Heilsopfer und den Trankopfern zu den Brandopfern. – Und so wurde der Dienst am Haus des HERRN geordnet.

Laut Vers 32 brachte die Gemeinde 70 Rinder, 100 Widder und 200 Schafe als Brandopfer dar. Daneben werden in Vers 33 weitere 600 Rinder und 3 ÄLäPh Schafe erwähnt, die nicht als Brandopfer bezeichnet werden. Aus Vers 35 ergibt sich, dass neben den vollständig zu verbrennenden Brandopfertieren auch die Fettstücke von Heilsopfern verbrannt wurden. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass es sich bei diesen separat genannten Tieren wie bei Salomos Tempeleinweihung um Heilsopfer handelte. Hier bedeuten 3 ÄLäPh tatsächlich 3.000 Schafe, da sich andernfalls ein unrealistisches Verhältnis von Rindern zu Schafen von 600 zu 150 ergibt. Die Anzahl der Schafe ist nahezu immer deutlich größer als die der Rinder. Diese Heilsopferzahl von 600 Rindern und 3.000 Schafen bei der Neueinweihung des Tempels durch Hiskia bestätigt die Größenordnung von 1.100 Rindern und 6.000 Schafen bei der Tempeleinweihung Salomos, die sich aus der Deutung der ÄLäPh als Zähleinheiten á 50 ergibt. Außerdem kann aus der hier angegebenen Zahl von insgesamt 370 Tieren, die als Brandopfer verbrannt wurden, auf eine mindestens ähnlich große Anzahl bei Salomo geschlossen werden, die zu den o.g. neubewerteten Heilsopferzahlen hinzugerechnet werden muss.

Zur weiteren Plausibilisierung der neubewerteten Heilsopferzahlen bei Salomo kann der sich daraus ergebende Fleischertrag dienen. Aus den durchschnittlich 79 Rindern und 429 Schafen und Ziegen pro Tag ergibt sich bei vorsichtiger Schätzung ein Fleischertrag von rund 24.550 kg pro Tag.1 Bei durchschnittlich 200 g pro Kopf hätte dies für eine zur Tempeleinweihung versammelte Festgemeinde von 122.750 Personen ausgereicht.2 Eine um den Faktor 20 größere Fleischmenge (= 491.000 kg pro Tag), die sich aus der Bewertung der ÄLäPh mit 1.000 ergeben würde, wäre dagegen nicht plausibel.

Große Tieropferzahlen werden auch bei dem Passahfest König Josias von Juda wenige Jahrzehnte vor der Zerstörung Jerusalems und der Wegführung des Volkes durch die Babylonier erwähnt (2Chr 35,7-9). Diese Zahlen untersuche ich detailliert in Abschnitt ‎14.1.2 im Zusammenhang mit der Frage, wann die Bedeutung „Zähleinheit 50“ des Begriffs ÄLäPh in Vergessenheit geriet. Dort komme ich zu dem Ergebnis, dass bei Josia die ÄLäPh in den Tieropferzahlen – wie schon bei dem mehr als 50 Jahre früher regierenden Hiskia – die Bedeutung „Tausend“ haben. Josia stellte dem Volk für das von ihm erstmals nach längerer Zeit wieder gefeierte Passahfest 30.000 Lämmer und junge Ziegenböcke zur Verfügung. Das Passahfest fällt in die Zeit von Ende März bis Mitte April. Zu dieser Zeit waren diese Jungtiere noch sehr klein. Für das im Familienkreis eingenommene Passahmahl konnte so jede Familie ein solches Jungtier schlachten und das Fleisch wie vorgeschrieben in der auf den 14. Nisan folgenden Nacht restlos essen (2Mose 12,5-6+8+10). Salomos Tempeleinweihungsfest fand dagegen im Herbst im Zusammenhang mit dem Laubhüttenfest statt und bei ihm werden keine Jungtiere erwähnt. Somit steht die größere Zahl bei Josia der Neubewertung der Opferzahlen Salomos nicht entgegen.

In 1Chr 28 und 29 wird von der Einberufung einer Versammlung der Fürsten und Großen seines Königreiches durch David kurz nach der Einsetzung Salomos als seinen Nachfolger berichtet. Diese Versammlung diente der Einschwörung aller Würdenträger auf Salomo und den durch diesen durchzuführenden Tempelbau. Am Ende der Versammlung gab es ein Opfermahl für ganz Israel (1Chr 29,21-22):

21 Und am folgenden Tage brachten sie Schlachtopfer dem HERRN dar, und sie opferten dem HERRN Brandopfer: tausend Stiere, tausend Widder, tausend Lämmer und ihre Trankopfer und Schlachtopfer in Menge für ganz Israel. 22 Und sie aßen und tranken vor dem HERRN an jenem Tag mit großer Freude. Und sie machten Salomo, den Sohn Davids, zum zweiten Mal zum König. Und ihn salbten sie dem HERRN zum Fürsten und Zadok zum Priester.

Hier wird berichtet, dass an einem Tag je ein ÄLäPh Stiere, Widder und Lämmer als Brandopfer geopfert wurden. Das heißt, dass diese Tiere von den Priestern abgehäutet und der Kopf und das gesamte Fleisch auf dem Altar verbrannt werden mussten. Zusätzlich wurden eine große Menge Schlachtopfer für das Volk geschlachtet. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um Heilsopfer, von denen nur das Fett auf dem Altar verbrannt wurde, deren Fleisch aber gegessen werden durfte. Die Annahme, dass hier neben dem Fett einer großen Menge von Heilsopfer-Tieren tatsächlich an einem Tag 3.000 Tiere als Brandopfer verbrannt wurden, ist äußerst unrealistisch. Es hätten zwölf Stunden lang ununterbrochen mehr als vier Tiere pro Minute geschächtet, abgehäutet, zerteilt sowie das Blut an den Altar gesprengt und der Kopf und das gesamte Fleisch auf dem Altar verbrannt werden müssen. Das wären achtmal mehr als die 370 Brandopfertiere bei Hiskias Tempeleinweihungsfest, bei dem nicht ausdrücklich angegeben ist, dass die Brandopfer alle an einem Tag dargebracht wurden. Es ist im Gegenteil sehr wahrscheinlich, dass nach den am ersten Tag in Gegenwart von Hiskia nacheinander als Sündopfer dargebrachten Brandopferopfern von je sieben Stieren, Widdern, Schafen und Ziegenböcken und dem anschließenden Lobpreisgottesdienst (2Chr 29,20-30) die weiteren Brandopfer der versammelten Gemeinde während eines wie bei Salomo mehrtägigen Einweihungsfestes über mehrere Tage verteilt dargebracht wurden. Ein Vergleich mit den pro Tag durchschnittlich (79 + 429 =) 508 Opfertieren bei Salomo – die aber auch nur rund ein Sechstel von 3.000 Tieren betragen hätten – ist nicht statthaft, da dort Heilsopfer vorlagen, von denen nur einige Fettstücke auf dem Altar verbrannt werden mussten. Es kann somit als sicher angenommen werden, dass bei Davids Brandopfern die ÄLäPh als Zähleinheit 50 zu übersetzen sind und an dem einen Tag „nur“ jeweils 50 Stiere, Widder und Lämmer als Brandopfer dargebracht wurden.

Aus den genannten Beispielen von Beute- und Opferzahlen lässt sich ableiten, dass im weiteren Umfeld kriegerischer Auseinandersetzungen – dazu würden Beute- und Gefangenen-Zahlen sowie Tributzahlungen unterworfener Völker zählen – und darüber hinaus zumindest im kultischen Bereich ÄLäPh auch als „Zähleinheit 50“ verwendet wurde. Dass das Vorhandensein einer solchen Zähleinheit neben dem Zehnersystem gar nicht so abwegig ist, zeige ich im nächsten Abschnitt.

  • 1 Das Schlachtgewicht (= Fleischanteil) von Rindern, Schafen und Ziegen in Österreich lässt sich aus zwei Statistiken von Agrarmarkt Austria errechnen. Zum einen kann die Anzahl der in Österreich in einem Jahr geschlachteten Tiere aus der PDF-Datei „Kennzahlen Vieh und Fleisch – Österreich“ (Url: https://www.ama.at/marktinformationen/vieh-und-fleisch/kennzahlen, Aufruf 27.12.2023) abgelesen werden. Für das Jahr 2018 ergeben sich auf Seite 1 aus der Summe der geschlachteten Stiere, Ochsen, Kühe und Kalbinnen (270.813 + 37.442 + 205.545 + 125.277 =) 639.077 ausgewachsene Rinder. Außerdem werden 55.155 geschlachtete Kälber (Seite 1) und 153.419 geschlachtete Schafe (Seite 2) ausgewiesen. Das sich daraus in einem Jahr ergebende Schlachtgewicht ist in der PDF-Datei „Jährliche Schlachtgewichte (Fleischanfall) 2011 bis 2022“ (Url: https://www.ama.at/marktinformationen/vieh-und-fleisch/produktion, Aufruf 27.12.2023) dargestellt. Dort wird für das Jahr 2018 ein Fleischanfall von (107.538 + 13.353 + 67.535 + 39.655 =) 228.081 Tonnen Fleisch von ausgewachsenen Rindern, 5.643 t Kalbfleisch sowie 6.672 t Schaffleisch aufgelistet. Daraus ergibt sich eine Durchschnitts-Schlachtgewicht (= Fleischanteil) von (228.081.000 kg ÷ 639.077 =) 357 kg je ausgewachsenem Rind, (5.643.000 kg ÷ 55.155 =) 102 kg je Kalb und (6.672.000 kg ÷ 153.419 =) 43 kg je Schaf. Bei einem Aufruf der Website von Agrarmarkt Austria am 03.07.2020 wurde noch eine wesentlich ausführlichere Statistik angezeigt, in der diese Durchschnittswerte je Tier explizit wie folgt ausgewiesen waren: für Rinder und Kälber Durchschnittswerte wie oben errechnet, für Schafe nur 32 kg, für Lämmer 19 kg, für Ziegen 26 kg und für Kitze (junge Ziegen) 7 Kg. Da im Bibeltext nicht angegeben ist, dass es sich um ausgewachsene oder gar gemästete (1Kön 5,3) Rinder handelte, und unsicher ist, ob die damals in Israel vorhandenen Rinderrassen ähnlich viel Fleischertrag brachten wie heutige hochgezüchtete Rinderrassen, gehe ich – nach Abzug des Fleischanteils für die Priester und des auf dem Altar zu verbrennenden Fetts – durchschnittlich je geopfertem Rind von nur 175 kg Fleischanteil für die Familie des Opfernden aus. Entsprechend vorsichtig nehme ich durchschnittlich je Stück Kleinvieh (Schafe und Ziegen) nur 25 kg Fleischanteil für den Opfernden an. Somit gab es pro Tag (79 x 175 kg + 429 x 25 kg =) 24.550 kg Fleisch zu verteilen.

    2 Zum Vergleich: Die Gesamtbevölkerung Israels betrug nach den Berechnungen in Abschnitt ‎9.6.5 gegen Ende von Davids Regierungszeit – und damit etwa 13 bis 14 Jahre vor Einweihung des Tempels – rund 240.000 Personen (inkl. Kleinkinder und nicht mehr reisefähige alte Menschen), davon annähernd 16.000 Leviten.