Zur Vermeidung von Willkür bei der Neubewertung der großen Zahlen ist wie im vorausgehenden Abschnitt schon angedeutet in jedem Einzelfall sowohl die Einbettung der Zahl in ihren unmittelbaren Textzusammenhang sorgfältig zu prüfen als auch ein Quervergleich der Zahlen im Gesamtkontext des AT durchzuführen. Für die Durchführung eines Quervergleichs ist die chronologische Einordnung des jeweiligen Geschehens notwendig. Deshalb mache ich viele Angaben zur Chronologie des Alten Testaments. Auch fehlende Detailinformationen versuche ich aus dem biblischen Kontext heraus zu rekonstruieren. Dabei ist es hilfreich, sich die praktischen Auswirkungen der Zahlen vorzustellen, wie ich es z.B. bei der Verteilung der Opfer Salomos bei der Tempeleinweihung auf die 14 Tage des Einweihungsfestes in Abschnitt ‎1.1 dargestellt habe. Durch eine solche plastische Darstellung eines Geschehens werden die sonst nur theoretischen Aussagen in ihren praktischen Auswirkungen verständlich. Solche Berechnungen führe ich daher wo immer möglich durch. Manchmal lassen sich zudem aus der Kombination von Informationen verschiedener Textstellen sichere oder zumindest sehr wahrscheinliche Schlussfolgerungen ziehen oder es können analoge Schlüsse von Berichten über ähnliche Geschehen abgeleitet werden.

Bei der Auswertung der alttestamentlichen Geschichtsberichte orientiere ich mich an folgendem Schema:

1.  Prüfung, was der betroffene Textabschnitt selbst ausdrücklich zur Fragestellung sagt

a. Vers für Vers und Wort für Wort (anhand verschiedener Übersetzungen und des Grundtextes, bei Bedarf Heranziehung von hebräischen Wörterbüchern)

b. Ist die Deutung einzelner Wörter unsicher, Prüfung weiterer Vorkommen dieser Wörter (bzw. bei Bedarf der gesamten Wortfamilie) anhand einer Grundtextkonkordanz

2. Prüfung, was der weitere Kontext im näheren zeitlichen Umfeld aussagt

3. Prüfung, was der Gesamtzusammenhang des gesamten AT ausdrücklich zu der Fragestellung sagt, bzw. ob Widersprüche zur vorgenommenen Auslegung des betroffenen Textabschnitts entstehen

4. Nur wenn keine ausdrücklichen oder nur lückenhafte Aussagen zu einer Fragestellung vorliegen, dürfen Annahmen getroffen werden

a. Prüfung, ob es im AT geschichtliche Berichte oder andere Aussagen gibt, aus denen für die Fragestellung analoge Schlüsse abgeleitet werden können.

b. Prüfung, ob sich durch die Annahme plausible Geschehensabläufe ergeben

c. Prüfung, ob durch die Annahme Widersprüche zu 1. bis 3. entstehen

Meine Deutungsvorschläge begründe ich dementsprechend mit sehr vielen Bibelstellenangaben. Für die Argumentation entscheidende Stellen zitiere ich in einer deutschen Übersetzung. Infolge der Neubewertung von Zahlenangaben kann auch für weitere Wörter oder Passagen des Kontextes eine Korrektur der bisher üblichen Übersetzung erforderlich werden, da bei deren Festlegung von den großen Zahlen ausgegangen wurde. In solchen Fällen gebe ich diese Wörter auf Hebräisch mit entsprechenden Erläuterungen zu ihrer Übersetzung an. Bei Bedarf wird der ganze Vers auf Hebräisch zitiert, ggf. mit alternativem Übersetzungsvorschlag. Durch zusätzliche Verwendung einer deutschen Umschrift des Hebräischen, sind diese Begründungen auch für Leser ohne Hebräisch-Kenntnisse nachvollziehbar.

Bei Vorschlägen zu alternativen Übersetzungen verzichte ich aus Platzgründen auf umfassende sprachwissenschaftliche Untersuchungen, zu denen mir außerdem tiefere Kenntnisse der Linguistik und der mit dem Hebräischen verwandten Sprachen fehlen. Der Verzicht auf solche umfassende Untersuchungen ist m.E. für das hier verfolgte Ziel eines Überblicks und Quervergleichs der großen Zahlen unproblematisch. Sprachwissenschaftliche Erkenntnisse können ohnehin nur den Rahmen abstecken, in dem die Deutung durch eine sorgfältige Exegese des Textes erfolgen kann. Zur Ermittlung einer von der traditionellen Übersetzung abweichenden Bedeutung eines Wortes ziehe ich vorrangig den innerbiblischen Gebrauch dieses Wortes selbst und im Bibeltext vorkommende verwandte Wörter heran. Sind mehrere Übersetzungen möglich, ist durch Auslegung des Kontextes – nach der Neubewertung einer Zahl neu – zu entscheiden, welche Übersetzung korrekt ist.

Die in meinen Deutungsvorschlägen enthaltenen Annahmen sind als solche gekennzeichnet. Damit sind eine Überprüfung bzw. Falsifizierung meiner Deutungsvorschläge sowie eine Ersetzung durch andere bibeltextkonforme Deutungen möglich. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei einem alternativen Deutungsvorschlag

1. alle im Bibeltext berichteten Details berücksichtigt werden müssen und

2. keine Widersprüche zu anderen biblischen Aussagen – auch an weiter entfernt stehenden Stellen – entstehen dürfen.

Weil sie diese beiden Anforderungen nicht in vollem Umfang erfüllen, scheiden manche auf den ersten Blick wahrscheinlicher erscheinende und deshalb oft auch traditionell vertretene Deutungen aus. Bei genauerem Hinsehen wird nämlich deutlich, dass einzelne Detailangaben im Kontext nicht berücksichtigt wurden und/oder dass Widersprüche zu anderen biblischen Aussagen entstehen. Als Beispiel kann hier 2Mose 12,40 genannt werden, wo die meisten Übersetzungen aus der Lesart des Masoretischen Textes zu einer Aufenthaltsdauer der Israeliten in Ägypten von 430 Jahren kommen. Diese Deutung widerspricht aber Gal 3,16-17, wo 430 Jahre vom Einzug Abrahams in Kanaan bis zum Exodus angegeben werden. Sie passt außerdem nicht zu den vier Generationen, die nach 1Mose 15,13+16 und 2Mose 6,16+18+20+23 die Zeit in Ägypten überbrückten. Hier muss daher der hebräische Grundtext von 2Mose 12,40 genauer daraufhin untersucht werden, ob eine alternative mit den drei anderen Stellen konforme Deutung (Harmonisierung) möglich ist. Eine alternative Deutung der Lesart des Masoretischen Textes von 2Mose 12,40, die die genannten Widersprüche auflöst und auch mit allen anderen für diesen Zeitraum im AT und NT angegebenen Fristen (z.B. der 400 Jahre in 1Mose 15,13) konsistent ist, begründe ich in Abschnitt ‎5.1ff. Dieses Beispiel soll zeigen, dass es bei manchen mit der Neubewertung der großen Zahlen zusammenhängenden Textstellen des AT umfassender Kenntnisse der alttestamentlichen Geschichtstexte und der Bezüge darauf im gesamten AT und NT sowie hebräische Sprachkenntnisse und Erfahrung in der Textauslegung benötigt, um eine ganzheitliche widerspruchsfreie Deutung zu erreichen.

Viele der von mir vorgeschlagenen Neubewertungen von großen Zahlen lassen sich jedoch relativ leicht nachvollziehen. Im Rahmen des hier vorgestellten Modells ist dafür abzuwägen, welche der drei in Abschnitt ‎1.4 vorgestellten Grundannahmen im vorhandenen Kontext am plausibelsten ist. Das ist bei unvoreingenommener Prüfung meiner Erläuterungen mit etwas gesundem Menschenverstand und logischem Denken auch ohne hebräische Sprachkenntnisse mit einer deutschen Bibelübersetzung möglich. Dazu sollten aber unbedingt die angegebenen begründenden Bibelstellen – besser der ganze Kontext – nachgelesen werden, da man in der Erinnerung meist nicht alle Details des AT-Textes korrekt abgespeichert hat bzw. die im Gedächtnis abgespeicherte Deutung auf unbewusst getroffenen falschen Annahmen beruhen könnte. Deshalb sind in der vorliegenden Internet-Fassung alle Bibelstellenangaben mit Links auf den Bibleserver des ERF versehen, wo jeweils das ganze Kapitel angezeigt wird und die als Bezug angegebenen Verse unterstrichen sind. Es werden dabei standardmäßig mit der Elberfelder (ELB) eine ziemlich wortgenaue, mit der Neuen evangelistischen Übersetzung (NeÜ) eine leichter verständliche und mit der English Standard Version (ESV) eine englische Übersetzung als Übersetzungsvergleich angeboten. Weitere Übersetzungen können im Einzelfall in der Kopfzeile der aufgerufenen Kapitelseite des Bibleservers einfach durch Anklicken des kleinen Dreiecks neben der Übersetzungsangabe „ELB+2“ aufgerufen und durch Ankreuzen ausgewählt werden.

Da ich bei der Vielzahl der behandelten Einzelthemen selbstverständlich nicht alle möglicherweise relevanten Textaussagen im gesamten Alten und Neuen Testament überblicken konnte, bin ich für Hinweise auf möglicherweise meinen Deutungsvorschlägen entgegenstehende Bibelstellen dankbar, die dann nach einer gründlichen Prüfung – auch des Grundtextes – auf neben der vordergründigen üblichen Deutung eventuell mögliche alternative Deutungen zu einer Modifizierung des betroffenen Deutungsvorschlages führen können. Zur Meldung solcher Bibelstellen kann das Kontaktformular unter Angabe der Ziffer des betreffenden Abschnitts verwendet werden.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit gebe ich die Konsonantenfolge אלף (° L P) i.d.R. punktiert als אֶלֶף (ÄLäPh) wieder, wie sie in den heute vorliegenden Grundtexten dargestellt ist, um sie aussprechbar zu machen – in dem Bewusstsein, dass sie ursprünglich teilweise anders ausgesprochen worden sein könnte. Bei den Zahlen in den Zensuslisten habe ich die Annahme, dass ein ÄLäPh auch ursprünglich tatsächlich als „Tausend“ zu lesen war, mit „ÄLäPh als Tausend“, abgekürzt „ÄaT“, bezeichnet. Wenn z.B. bei einer Angabe von 74 ÄLäPh nur 2 ÄLäPh als Tausend zu lesen waren (= 2.000), liegen somit zwei ÄaT vor. Die übrigen 72 ÄLäPh sind dann als „Einheiten“ zu verstehen.

Sofern nichts anderes angegeben ist, entstammen Bibelzitate der revidierten Elberfelder 2006, hebräische Zitate dem Masoretischen Text nach dem Leningrad-Codex wie er in der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) dargestellt ist. Die Abkürzung der Bibelstellenangaben erfolgt nach den Loccumer Richtlinien in der evangelischen Variante (z.B. 1Mose statt Gen). Die Bibelstellen auf die ich Bezug genommen habe, sind in Anlage 1b in der Reihenfolge der biblischen Bücher in deutschen Bibelübersetzungen aufgelistet. Zu jeder Bibelstelle ist angegeben, in welchen Abschnitten dieser Ausarbeitung sie vorkommt. Das Verzeichnis wird mit fortschreitender Veröffentlichung um die Vorkommen in den weiteren Kapiteln ergänzt.