In Ri 6,1-6 wird berichtet, dass die Midianiter und ihre Verbündeten sieben Jahre lang jedes Jahr nach der Aussaat in Israel einfielen, um zu rauben und zu plündern. Sie kamen mit ihren Viehherden, Kamelen1 und Zelten und lagerten gegen Israel. Möglicherweise brachten sie als Nomaden mit Viehwirtschaft auch ihre Herden zum Weiden in die noch nicht abgeernteten Felder der Israeliten. Israel hatte zu dieser Zeit offensichtlich kein stehendes Heer und vor allem auch keinen tatkräftigen Anführer und ließ sich widerstandslos ausrauben. Das Heer der Midianiter war daher vermutlich nicht in großen Kampfeinheiten, sondern eher in kleineren sehr beweglichen Einheiten organisiert. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Heeresorganisation der Israeliten und die Größe ihrer militärischen Einheiten einfach auf die Midianiter übertragbar sind, wird zunächst der Bibeltext auf Hinweise zur Größe der Heereseinheiten der Midianiter untersucht.

In Ri 7,11b wird berichtet, wie Gideon zusammen mit seinem Burschen Pura das Lager der Midianiter bei Nacht beschleicht:

וַיֵּ֤רֶד הוּא֙ וּפֻרָ֣ה נַעֲר֔וֹ אֶל־קְצֵ֥ה הַחֲמֻשִׁ֖ים אֲשֶׁ֥ר בַּֽמַּחֲנֶֽה׃  … 11

11 … WaJeRäD HU° UPhuRaH NaÃRO ÄL-QöZeH HaChaMuSchIM ASchäR BaMaChaNäH

11 … Da stieg er hinab, er und Pura, sein Diener, zum Ende der Fünfziger-Gruppen, welche im Lager (waren). (eigener Übersetzungsvorschlag)

Dies ist das vierte Vorkommen des Wortes חֲמֻשִׁים (ChaMuSchI’M, hier mit der Artikel-Vorsilbe „Ha“), das schon in Abschnitt ‎3.1.1.1 untersucht wurde und das „nach Gruppen zu 50 gegliedert“ bedeutet. Daraus schließe ich, dass auch das Heer der Midianiter in Kampfeinheiten zu 50 Mann eingeteilt war – eine sinnvolle Größe für einen Raubzug, bei dem kein gegnerisches Heer bekämpft und auch keine Städte erobert werden müssen, sondern kleinere Orte ausgeraubt werden. Aus dem Bibeltext ergibt sich, dass die Männer innerhalb des Lagers ihren Einheiten entsprechend Lagergruppen zu 50 Mann gebildet hatten, die auch von außen erkennbar waren. In Ri 8,10 wird über die Größe dieses Heeres von 15 ÄLäPh Übriggebliebenen und 120 ÄLäPh Gefallenen berichtet. Es hatte somit eine Gesamtgröße von 135 ÄLäPh. Bei Gruppen zu 50 ergibt sich eine Heeresgröße von 6.750 Mann. Davon entkamen 750 über den Jordan, die Gideon mit seinen 300 Mann verfolgte (Ri 8,4). Auch hier werden die Zahlen der getöteten Soldaten in 50er-Gruppen ausgedrückt wie bei der Strafaktion gegen Benjamin (siehe ‎4.3.2) und vor Ai (siehe ‎4.4.3). Dasselbe gilt für die entkommenen Midianiter, die sicher aus unterschiedlichen Kampfeinheiten stammten.

Das midianitische Heer lagerte in der Jesreel-Ebene (Ri 6,33), wo genügend Raum auch für ein großes Heerlager war. Wenn man je Mann nur 2 m² für Schlafplatz und Ausrüstung annimmt, kommt man bei 6.750 Mann schon auf 13.500 m². Da innerhalb des Lagers entsprechende Wege und Raum für die größeren Zelte der zwei Fürsten und zwei Könige (Ri 8,3+12) und deren Stab und Kamele zu berücksichtigen waren, ist von einer Fläche von mindestens 30.000 m² auszugehen, selbst wenn man annimmt, dass der Großteil der Kamele und sonstigen Tiere außerhalb des Lagers untergebracht war. Wenn man für das Heerlager eine rechteckige Form mit einer Seitenlänge von 150 x 200 m (= 30.000 m²) annimmt, ergibt sich eine Umfanglinie von (2 x 150 + 2 x 200 =) 700 m. Sofern Gideon bei der Umstellung des Lagers (Ri 7,21) noch ca. 10 m Abstand hielt, kommen je Seite noch 20 m dazu, somit ist die Umfassungslinie insgesamt 780 m lang. Bei Aufteilung der 300 Mann auf diese Länge entfallen auf jeden Mann 2,6 m. Damit kann im Dunkeln durch die Fackeln, das Schophar-Blasen und den Lärm der zerschellenden Krüge der Eindruck einer vollständigen Umzingelung entstehen. Es bleibt dennoch genügend Zwischenraum, dass einzelne Feinde durch die Lücken fliehen können. Die Annahme einer Größenordnung von 6.750 Mann erscheint auch vor diesem Hintergrund plausibel.  

Das eingeschlossene Heer bestand aus Midianitern, Amalekitern und Söhnen des Ostens (Ri 6,33). Vermutlich brachten diese sich nun gegenseitig um. Die Übrigen flüchteten vermutlich ohne ihre Reittiere, da sonst ein Abfangen eines Teils der Geflüchteten und der beiden Fürsten Oreb und Seeb am Jordan durch die erst nach dem Angriff durch Gideon benachrichtigten Ephraimiter (Ri 7,24-25) kaum möglich gewesen wäre. An der Verfolgung bis zum Jordan beteiligten sich auch die vorher aussortierten Männer der Stämme Naftali, Asser und Manasse (Ri 7,23). Lediglich die Könige, die ihre Kamele vermutlich bei ihren Zelten hatten, und 15 ÄLäPh (x 50 = 750) Mann konnten auf ihren Tieren fliehen (Ri 8,10+21) und den Jordan überqueren. Diese wurden von Gideon mit seinen 300 Mann, die sich vermutlich aus den erbeuteten Tieren Reittiere genommen hatten, trotz ihrer Ermüdung verfolgt (Ri 8,4+11).

Auf den ersten Blick erscheint es unwahrscheinlich, dass Gideon mit nur 300 Mann die Könige Sebach und Zalmunna, die noch über ein restliches Heer von 750 Mann verfügten, gefangen nehmen konnte. So dachten wohl auch die Einwohner der östlich des Jordans gelegenen Städte Sukkot (Ri 8,5-6) und Pnuel (Ri 8,8), bei denen das zweieinhalbmal so große Heer der Midianiter gerade vorrübergekommen war, als Gideon mit seiner deutlich kleineren Truppe kam und um Verpflegung bat. Deshalb antworteten sie: „Ist etwa die Faust Sebachs und Zalmunnas schon in deiner Hand, dass wir deinem Heer Brot geben sollten?“ (Ri 8,6).2 Die Midianiter waren jedoch so demoralisiert, dass sie dem entschlossenen Angriff Gideons, der Gott auf seiner Seite wusste, nichts entgegenzusetzen hatten und flohen (Ri 8,11f). Gideons Verfolgung konzentrierte sich nun auf die beiden Könige, so dass er diese gefangen nehmen konnte (Ri 8,12).

  • 1 Zum Vorkommen von Kamelen im Vorderen Orient auch schon vor 1100 v. Chr. vgl. van der Veen & Zerbst: Volk ohne Ahnen? S. 225-229

    2 Die Reaktion der Städte Sukkot und Pnuel in Ri 8,6+8 lässt darauf schließen, dass das Ostjordanland von den Midianitern unterworfen war und deren Könige dort regierten. Die Ältesten der Stadt hatten ihnen wohl einen Gefolgschaftseid leisten müssen und bei dessen Bruch harte Vergeltungsmaßnahmen zu fürchten. Im Westjordanland regierten die midianitischen Könige dagegen nicht, sondern sie kamen nur jährlich zur Erntezeit, um zu plündern.