Erst 11 Jahre nach dem Hausbau in Sukkot sandte Jakob auch den inzwischen 17-jährigen Josef von Hebron in die Gegend von Sichem, um seine älteren Brüder – die demnach schon vorher die Verantwortung für die Herden im Norden übernommen hatten – beim Hüten des Viehs zu unterstützen. Dies ergibt sich aus 1Mose 37,2a. Nachfolgend zitiere ich 1Mose 37,2+13-14 (Vers 2 nach Schlachter 2000):

2a Dies ist die Geschichte Jakobs: Joseph war 17 Jahre alt, als er mit seinen Brüdern das Vieh hütete,

2b und er war als Knabe bei den Söhnen Bilhas und Silpas, den Frauen seines Vaters; und Joseph brachte vor ihren Vater, was man ihnen Schlimmes nachsagte.

13 Da sagte Israel zu Josef: Weiden nicht deine Brüder bei Sichem? Komm, ich will dich zu ihnen senden! Er aber sagte zu ihm: Hier bin ich. 14 Da sagte er zu ihm: Geh doch hin, sieh nach dem Wohlergehen deiner Brüder und nach dem Wohlergehen der Schafe, und bring mir Antwort. So sandte er ihn aus dem Tal von Hebron, und er kam nach Sichem.

Ab Vers 2b bis Vers 11 wird in einer Rückblende erklärt, warum seine Brüder ihn hassten und ihn verkauften, als Jakob ihn aus Hebron zu ihnen in die Gegend des mehr als 100 km entfernten Sichem geschickt hatte (siehe Anlage 6a), um mit ihnen das Vieh zu hüten (1Mose 37,12-14). Aus Vers 2b ergibt sich, dass die etwas jüngeren Söhne der Mägde zunächst mit Josef bei seinem Vater zurückblieben, so dass dieser seinem Vater über deren böse Taten berichten konnte. Die hier zitierte Schlachter 2000 wie auch die verlinkte Englisch Standard Version (ESV) geben in Vers 2 den Grundtext besser wieder als z.B. Elberfelder und Luther. Die älteren Söhne Leas wurden demnach schon früher zu den in Sukkot belassenen Herden Jakobs geschickt und haben wahrscheinlich dort mit Unterstützung des von Jakob eingesetzten Verwalters die Verantwortung übernommen. Die Söhne der Mägde wurden zwar später, aber jedenfalls schon vor Josef, ebenfalls zum Vieh-Hüten nach Norden abkommandiert, denn als Josef zu seinen Brüdern kam, waren sie schon dort.

Auch Juda – inzwischen 19 ½ Jahre alt – war zu dieser Zeit bei seinen Brüdern in der Gegend von Sichem. Laut 1Mose 38,1-3 hatte er sich allerdings davor von seinen Brüdern getrennt:

1 Und es geschah in jener Zeit, dass Juda von seinen Brüdern hinabzog und zu einem Mann von Adullam einkehrte, dessen Name war Hira. 2 Dort sah Juda die Tochter eines kanaanitischen Mannes, mit Namen Schua; und er nahm sie ⟨zur Frau⟩ und ging zu ihr ein. 3 Und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn, dem gab er den Namen Er.

Da Adullam nur etwa 20 km nordwestlich von Hebron lag (siehe Anlage 6a, links unten), muss diese Trennung erfolgt sein, als er noch bei seinem Vater in Hebron lebte. Aus der Tatsache, dass beim Zug nach Ägypten schon Urenkel von Juda lebten, ergibt sich außerdem, dass Juda etwa 13 Jahre alt war, als er zu Hira nach Adullam zog. Mit Hira ging er wohl eine langfristige Geschäftspartnerschaft ein, denn in 1Mose 38,12 wird berichtet, dass beide – aufgrund der Angaben zu den Söhnen Judas mindestens 16 Jahre später – gemeinsam zu ihren Schafscherern nach Timna zogen. Wahrscheinlich wusste Jakob weder von Judas Geschäften mit Hira noch von der Ehe mit der Kanaaniterin, die wahrscheinlich der Festigung der Geschäftspartnerschaft diente. Hira verwaltete wohl den Besitz Judas in dieser Gegend als Juda mit seinen älteren Brüdern nach Sukkot zog, um die dortigen Herden Jakobs zu hüten. Dies kann frühestens nach der Geburt der Söhne Judas von der Kanaaniterin erfolgt sein, als er etwa 16 Jahre alt war. Die vier ältesten Söhne Leas wären dann etwa 3 Jahre vor Josef nach Sukkot gekommen, als Ruben 20 Jahre alt und damit erwachsen war. Die in Hebron gebliebenen Söhne der Mägde, über deren böse Taten Josef seinen Vater informierte, waren zu dieser Zeit etwa 15 bis 16, Josef 14 Jahre alt (siehe 5.4.2).

Als Jakob von seinen Söhnen nach dem Verkauf Josefs dessen blutigen Mantel zugesandt erhielt, den sie angeblich in der Nähe von Sichem gefunden hatten, zog er mit seinen Frauen, der inzwischen ebenfalls 17-jährigen Dina sowie Debora, der hochbetagten Amme seiner Mutter Rebekka, von Hebron nach Sichem. Er erwarb dort ein Grundstück, wo er einen Altar errichtete (1Mose 33,20). Dazu zitiere ich 1Mose 33,19 und Jos 24,32 sowie Apg 7,15-16 und Joh 4,5:

1Mose 33,19 Und er [= Jakob, siehe Vers 18] kaufte das Feldstück, wo er sein Zelt aufgeschlagen hatte, von der Hand der Söhne Hamors, des Vaters Sichems, für hundert Kesita.

Jos 24,32 Und die Gebeine Josefs, die die Söhne Israel aus Ägypten heraufgebracht hatten, begruben sie in Sichem auf dem Feldstück, das Jakob von den Söhnen Hamors, des Vaters von Sichem, für hundert Kesita gekauft hatte; und es wurde den Söhnen Josef zum Erbteil.

Apg 7,15 Und Jakob zog hinab nach Ägypten und starb, er und unsre Väter [= die zwölf Söhne Jakobs]a; 16 und sie [= die Söhne Jakobs]a wurden nach Sichem herübergebracht und in das Grab gelegt, das [das Haus]a Abraham für Geld gekauft hatte von den Söhnen Hamors in Sichem.

a Einfügung in [eckigen Klammern] durch M.K.

Joh 4,5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte.

In den ersten drei Stellen wird jeweils berichtet, dass ein Grundstück für Geld von den Söhnen Hamors in Sichem gekauft wurde. In Jos 24,32 wird außerdem berichtet, dass auf diesem Grundstück nach der Landnahme Josefs Gebeine bestattet wurden. In Apg 7,16 wird zudem ausgesagt, dass dort ein Grab gekauft wurde. Daraus kann man schließen, dass schon Jakob in der Nähe von Sichem eine Grabstätte für Josef anlegte und den angeblich mit Josefs Blut getränkten Mantel als einziges Überbleibsel seines Sohnes darin bestattet hat. Durch eine solche Grabstätte hätte dieses Grundstück (22 + 215 + 40 =) 277 Jahre später jedenfalls eindeutig lokalisiert werden können. In der Aussage von Stephanus in Apg 7,15-16 sehen viele Ausleger Widersprüche zu den AT-Berichten, da laut 1Mose 49,29-32 und 1Mose 50,13 Jakob und seine Frau Lea wie seine Vorfahren Abraham und Isaak und deren Frauen in der Höhle Machpela bei Hebron begraben wurde, die Abraham von dem Hetiter Efron gekauft hatte. Bezieht man das Wort „Väter“ in Apg 7,15 aber auf die Söhne Jakobs (siehe Einfügungen im Zitat oben), so lassen sich die scheinbaren Widersprüche auflösen. In Apg 7,15 ist ausgesagt, dass Jakob nach Ägypten zog und dort starb. Diese Aussage wird in Vers 15b auf „unsere Väter“ ausgedehnt. Mit diesen Vätern können nur die Söhne Jakobs gemeint gewesen sein, da nur sie wie Jakob nach Ägypten gekommen waren und dort starben, nicht aber dessen Vorfahren Isaak und Abraham. Die zwölf Söhne Jakobs, die die Stammväter des Volkes Israel bildeten, konnten aus der Sicht des Erzählers Stephanus und seiner israelitischen Zuhörer völlig zu Recht als „unsere Väter“ bezeichnet werden. Das Personalpronomen „sie“ in Vers 16 bezieht sich auf diese Väter, von denen mehrere in Sichem bestattet worden sein müssen, nicht aber auf Jakob, der in der Höhle Machpela bei Hebron bestattet wurde. Dass in den AT-Berichten nur Josefs Gebeine erwähnt wurden, kann damit begründet werden, dass ihm das Grundstück mit der Grabstätte gehörte, in der sie bestattet wurden, und er seinen Nachkommen einen Schwur abgenommen hatte, seine Gebeine mit nach Kanaan zu nehmen (1Mose 50,25). Aufgrund dieses Schwurs sorgte Mose persönlich für die Mitnahme von Josefs Gebeinen und für die Dokumentation der Mitnahme in 2Mose 13,19. Auch die kurze Notiz über die Bestattung der Gebeine Josefs in Jos 24,32, die Jahrzehnte nach der Bestattung im Nachtrag zum Josua-Buch über den Tod Josuas und Eleasars (Jos 24,29-33) erfolgte, diente lediglich der Dokumentation, dass dieser Schwur erfüllt worden war. Für die Mitnahme der Gebeine der Brüder Josefs müssten deren jeweilige Stammesverwandte gesorgt haben, was – wie die Durchführung des Begräbnisses, die im Zusammenhang mit dem nach der Eroberung der Stadt Ai erfolgten Zug des ganzen Volkes zu den nahe Sichem gelegenen Bergen Garizim und Ebal stattgefunden haben muss (Jos 8,30-35; siehe 4.4.2) – nicht ausdrücklich dokumentiert wurde. Dass in Apg 7,16 Abraham als Erwerber des Grabes in Sichem genannt wird, muss ebenso wenig als Widerspruch gesehen werden. So wie die Nachkommen des nach Ägypten gezogenen Stammvaters Jakob-Israel (1Mose 46,2-3) aus Sicht der Ägypter als „Volk der Söhne Israel“ (2Mose 1,9), als „Söhne Israels“ (2Mose 1,13), oder auch nur als „Israel“ (2Mose 5,2) bezeichnet wurden, so können die Nachkommen des nach Kanaan gezogenen Stammvaters Abraham ebenfalls mit Abrahams Namen bezeichnet worden sein. Wahrscheinlich sahen die Kanaaniter die fremdländischen Viehhirten, die als Halbnomaden in ihrem Land lebten und deren Namen sie im Einzelnen nicht kannten, einfach pauschal als Haus Abraham an. Dieser Name dürfte durch Abrahams Sieg über die vier Könige (1Mose 14,9+13-17+21-24) bekannt gewesen sein. Jakob als Erbe und Handlungsbevollmächtigter des zum Zeitpunkt des Grundstückskaufs schon 168-jährigen und schon länger erblindeten Isaak konnte hier völlig legitim einen Grundstückskaufvertrag für das Haus Abraham abschließen. Es kann angenommen werden, dass die Aussage des Stephanus in Apg 7,16 über die Bestattung von mehreren Vätern (d.h. mehreren Söhnen Jakobs, neben Josef also mindestens einer seiner Brüder) in Sichem und den Grundstückskauf durch das Haus Abraham aus der gleichen außerbiblischen Überlieferung stammte wie die Angabe der 75 Verwandten in Apg 7,14 (siehe ‎5.5.1). Wie dort liegt auch in Apg 7,16 kein Widerspruch zu den alttestamentlichen Berichten nach der Lesart des Masoretischen Textes vor, sondern lediglich eine ergänzende Information, die – wenn die Bibel als Wort Gottes Wahrheit ist – aufgrund ihrer Aufnahme in die Bibel als wahr angesehen werden muss.

Der Erwerb dieses Grundstückes bei Sichem und die Bestattung der Überreste seines Sohnes in der dort errichteten Grabstätte – und nicht in dem Erbbegräbnis Abrahams bei Hebron, wo sein Vater Isaak lebte – zeigen, dass Jakob sich hier dauerhaft ansiedeln wollte. So ist auch verständlich, dass er das Basislager in Sukkot elf Jahre nach seiner Errichtung (1Mose 33,17) nun auflöste und vollständig mit allen Herden in die Gegend von Sichem übersiedelte (siehe ‎5.5.2.3 und Anlage 7c sowie die Karte in Anlage 6a). Ebenso ist nachvollziehbar, dass Dina die Töchter der neuen Nachbarn kennenlernen wollte und in die Stadt ging, wo sie von dem gleichnamigen Sohn des Stadtoberhaupts vergewaltigt und damit entehrt wurde (1Mose 34,1-5).

Aus Rache brachten Jakobs Söhne Simeon und Levi (unterstützt durch eine ausreichend große Truppe ihrer Sklaven) alle erwachsenen männlichen Einwohner der Stadt Sichem, die nach ihrer Beschneidung am Wundfieber litten, um und nahmen Frauen und Kinder gefangen sowie die Viehherden und allen Besitz als Beute (1Mose 34,25+28-29). Dadurch erhöhte sich die Zahl der Weidetiere Jakobs und seiner Sklaven nochmals deutlich. Die Frauen und Kinder Sichems dürften bei geschätzt etwa 75 bis 100 erwachsenen Männern mindestens 150 Personen gezählt haben. Aus Furcht vor den Stammesverwandten der Einwohner Sichems zog Jakob nun mit seinem gesamten Besitz nach Süden, um aus deren Reichweite zu kommen (1Mose 34,30). Die Furcht Jakobs vor diesen Stammesverwandten ist der sicherste Beweis, dass die hier vorgeschlagene Einordnung von 1Mose 37 vor 1Mose 33,18 richtig ist. Jakob hätte niemals seine Söhne nach diesem Massaker in der Nähe von Sichem seine Herden weiden lassen. Auf dem Weg Richtung Süden starb zunächst bei Bet-El Rebekkas Amme Debora und dann am Weg nach Efrata Jakobs Lieblingsfrau Rahel bei der Geburt Benjamins (1Mose 35,8+19-21). Da es in Hebron, wo sein Vater Isaak lebte, neben dessen großen Herden nicht genug Weideflächen für Jakobs Vieh gab, schlug er jenseits von Migdal-Eder seine Zelte auf. Dieser Ort lag zwischen Bet-El und Hebron, etwas südlich von dem Ort, wo Rahel begraben worden war.