Für das Bevölkerungswachstum in einem bestimmten Zeitraum ist im Zusammenhang mit der Fertilität noch ein weiterer Faktor ganz wesentlich, nämlich das durchschnittliche Gebäralter, d.h. das Alter, in dem die Frauen ihre Kinder zur Welt bringen. Dieses Alter entspricht dem mittleren Generationenabstand (= Generationsdauer). Der nachfolgende Kurzüberblick zeigt die Entwicklung des mittleren Generationenabstands in Deutschland in den letzten 150 Jahren:

Vor 1900 betrug der mittlere Generationenabstand noch über 30 Jahre. Gustav von Rümelin berechnete 1875 für Deutschland eine durchschnittliche Generationsdauer von 36,5, für Frankreich eine von 34,5 Jahren. Er addierte hierzu das mittlere Heiratsalter der Männer und die halbe Dauer der mittleren ehelichen Fruchtbarkeit.[4] Um die Mitte des 20. Jahrhunderts sank der mittlere Generationenabstand um einige Jahre, weil die Mehrzahl der Kinder von Müttern unter 25 Jahren geboren wurde, die dann kaum noch weitere Kinder hatten. Davor waren noch zahlreiche Kinder von Müttern über 30 oder auch 40 Jahren geboren worden. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich dieser sinkende Trend in Deutschland erneut umgekehrt, der Generationenabstand ist wieder gewachsen. Bei der Geburt ihres ersten Kindes waren Frauen in Deutschland im Jahr 2020 durchschnittlich 29,9 Jahre alt.[5] In der Demografie ist der Generationenabstand eine der Kenngrößen zur Beschreibung des generativen Verhaltens, die auch zur Bevölkerungsprognose herangezogen werden. Überschlagsweise werden für eine Generation normalerweise 30 Jahre angesetzt.1

Bei dem aktuell hohen Gebäralter in Deutschland spielt natürlich das hohe Bildungsniveau und die Berufstätigkeit der Frauen eine große Rolle. Wie das Gebäralter in Deutschland Ende des 19. Jh. jedoch zeigt, kann auch in einer Gesellschaft mit einer eher traditionellen Rolle der Frau ein hohes durchschnittliches Gebäralter vorliegen, wenn entsprechende Konventionen bestehen. Einige Einflussfaktoren, die u.a. auch auf den mittleren Generationenabstand wirken, sind in dem folgenden Zitat kurz zusammengefasst:

Generatives Verhalten (bisweilen vereinfacht als „Geburtenverhalten“ bezeichnet) ist das durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren bedingte Verhalten, das auf die Zahl der Kinder Einfluss nimmt, die eine Bevölkerung hervorbringt, und damit das Bevölkerungswachstum beeinflusst. Das generative Verhalten schlägt sich nieder z. B. im Alter der Frauen bei ihrer Heirat und der Geburt ihrer Kinder, im Betreiben einer bewussten Familienplanung, etwa durch Empfängnisverhütung, und letztlich in der durchschnittlichen Zahl der Kinder je Frau. Das generative Verhalten ergibt sich aus den Wechselwirkungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Einflüsse auf Geburtenhäufigkeit und Heiratsverhalten, wie z. B. Lebensbedingungen, religiösen Wertvorstellungen usw.2

Am Anfang des Ägyptenaufenthalts nach Etablierung der Israeliten in ihrem neuen Siedlungsgebiet und dem Ablauf der noch ausstehenden fünf dürren Jahre lagen mit im Überfluss vorhandenem Siedlungsraum und der Unterstützung durch den mächtigen Wesir Josef positive wirtschaftliche Rahmenbedingungen für ein frühes Heirats- und Fortpflanzungsalter vor. In den nächsten beiden Abschnitten werde ich die biblischen Berichte über das Zeitumfeld des Ägyptenaufenthalts daraufhin untersuchen, ob Hinweise auf weitere Einflussfaktoren auf das Heiratsalter sowie das Alter bei der ersten Geburt und den Abstand zwischen den Geburten zu finden sind. Anschließend prüfe ich, ob daraus Hinweise auf die durchschnittliche Generationsdauer in Ägypten abgeleitet werden können. Davon hängt ab, wie viele Generationen in dem Zeitraum von 215 Jahren für die Vermehrung zur Verfügung standen.