Da das Volk schon in Fünfziger-Gruppen auszog, können die Gruppen nicht erst nach dem Besuch des Schwiegervaters Moses kurz vor Erreichen des Sinai gebildet worden sein (2Mose 18,19-23), wo u.a. auch Richter über Gruppen zu 50 berufen wurden. Vermutlich fand Mose eine entsprechende Struktur von Fünfzigergruppen schon von der Arbeitsorganisation der Ägypter her vor. Dass in Ägypten Arbeitsgruppen von 50 Mann vorkamen, wird in einem Artikel in World History Encyclopedia bestätigt, der über eine ägyptische Inschrift etwa aus der Zeit um 2520 v. Chr. berichtet:

The second pyramid constructed at Giza belongs to Khufu's successor Khafre (2558 - 2532 BCE) who is also credited with creating the Great Sphinx of Giza. The third pyramid belongs to his successor Menkaure (2532 - 2503 BCE). An inscription from c. 2520 BCE relates how Menkaure came to inspect his pyramid and assigned 50 of the workers to the new task of building a tomb for his official, Debhen.1

Hier wird eine Gruppe von 50 Arbeitern für den Bau eines Grabes eingeteilt. In der Organisationslehre geht man heute davon aus, dass eine Führungskraft weniger Mitarbeiter direkt führen kann, wenn die Aufgaben komplex oder je Mitarbeiter sehr stark differenziert sind, als bei einfachen und gleichartigen Tätigkeiten je Mitarbeiter. Wenn Führungskräfte unterstellt sind, die ihrerseits wieder Untergebene haben, ist die direkte Leitungsspanne der übergeordneten Führungskraft i.d.R. ebenfalls geringer, als wenn nur Mitarbeiter mit einfachen Aufgaben unterstellt sind. Da es sich bei der Ziegelherstellung um einfache und für alle gleichartige Tätigkeiten handelte, ist eine Leitungsspanne von 50 Mann vorstellbar.

Zur Führungsstruktur der Arbeitsgruppen sagt 2Mose 5,13-14 folgendes: 

13 Und die Antreiber drängten sie und sagten: Vollendet eure Arbeiten, die Tagesleistung an ihrem Tag wie ⟨früher⟩, als ⟨noch⟩ Häcksel da war! 14 Dazu wurden die Aufseher der Söhne Israel, die die Antreiber des Pharao über sie gesetzt hatten, geschlagen, indem man sagte: Warum habt ihr weder gestern noch heute euer Maß an Ziegeln erfüllt wie bisher?

Es gab vom Pharao eingesetzte ägyptische Antreiber, die wiederum israelitische Vorarbeiter (שֹׁטֵר SchoTheR) eingesetzt hatten. Im Zitat wird dieses hebräische Wort m.E. etwas unglücklich mit "Aufseher" übersetzt (vgl. Übersetzung „foreman“ in der verlinkten English Standard Version von 2Mose 5,14; siehe auch 7.3.3.2). Die israelitischen Vorarbeiter hatten dafür zu sorgen, dass ihre Gruppe die von den Antreibern übermittelten Befehle des Pharao befolgte und die Mengenvorgaben erreichte. Bei Nicht-Erfüllung der Vorgaben wurden die Vorarbeiter geschlagen (2Mose 5,14). Damit war die Gruppe motiviert, hart zu arbeiten, um ihren Volksgenossen vor Schlägen zu bewahren. Andererseits mussten die Vorarbeiter aber auch gegen ihre eigenen Volksgenossen entsprechend hart durchgreifen, wenn ihre Gruppe nicht schnell genug arbeitete. Da bei einer deutlichen Unterschreitung der Sollstärke einer Gruppe die Mengenvorgaben nicht erfüllt werden konnten, mussten die Gruppen bei Todesfällen immer wieder auf ihre volle Sollstärke von 50 Mann aufgefüllt werden. In bestimmten Abständen mussten auch neue Gruppen gegründet werden um neue Jahrgänge zu integrieren, weil bei einem stark wachsenden Volk die jungen Jahrgänge um ein Vielfaches größer waren als die jeweils ausscheidenden Jahrgänge.2 Ich gehe daher davon aus, dass die Gruppen höchstens für eine kurze Zeit und nur geringfügig ihre Sollstärke unterschritten haben.

Um ein sesshaftes Volk von der Größe der Israeliten – auch wenn sich die Bevölkerungszahl bei Neubewertung der Zensus-Zahlen „nur“ in einer Größenordnung von etwa 100.000 Personen bewegte – aus seinem fruchtbaren Land durch Wüste und unwegsames Gelände zu einem mehrere 100 km entfernten Ziel im Gebirge zu führen, brauchte es eine sehr gute Organisation und einen fähigen und erfahrenen Kommandeur. Nach Josephus hat Mose in seiner Zeit in Ägypten auch Truppenbewegungen kommandiert.3 Er wusste somit, worauf es dabei ankam. Man benötigt neben einer Einteilung in Gruppen eine klare Führungsstruktur und Befehlskette sowie geeignete Anführer.

Als Anführer der einzelnen Gruppen boten sich die vom Pharao eingesetzten Vorarbeiter geradezu an, da ihre Gruppe an absoluten Gehorsam ihnen gegenüber gewöhnt war (2Mose 5,6-14). Wenn diese Gruppenführer aber jeweils ihren Stammesältesten direkt unterstellt gewesen wären, hätte sich für den Stammesältesten Judas bei 72 Gruppen (siehe Anlage 3a, Tab. 4) eine bei unterstellten Führungskräften unvorstellbar große Leitungsspanne von 72 ergeben. So gehe ich davon aus, dass schon vor dem Auszug eine entsprechende Hierarchie mit Anführern über 1.000 und über 100 eingeführt wurde. Eine solche Hierarchie gab es auch nach der Reorganisation des Heeres nach dem zweiten Zensus (4Mose 31,14, siehe ‎4.1.3). Beim Aufbruch von einem Lagerplatz konnten dann die notwendigen Anordnungen, z.B. über Zeitpunkt und Reihenfolge des Abmarschs, über diese Struktur weitergegeben werden.

In 2Mose 12,50-51 wird bestätigt, dass alle Israeliten es genau so machten, wie es der Herr Mose und Aaron geboten hatte, und dass der Herr sie geordnet nach ihren Heerscharen aus Ägypten herausführte. Eine entsprechende Abmarschreihenfolge wurde auch beim Wegzug vom Sinai festgelegt (4Mose 2,9+16+17+24+31) und befolgt (4Mose 2,34).

Der Annahme einer solchen schon vorhandenen Gruppenstruktur mit befehlsgewohnten und durchsetzungsfähigen – um nicht zu sagen rücksichtslosen – Anführern steht nicht entgegen, dass Mose nach dem Auszug kurz vor Erreichen des Sinai auf Rat seines Schwiegervaters Richter über 1.000, 100, 50 und zehn einsetzte (2Mose 18,25). Die Richter hatten den Auftrag, Fragen zu klären, die die Satzungen Gottes und seine Weisungen betrafen, und nur die schwierigen Fragen, die sie nicht lösen konnten, vor Mose zu bringen (2Mose 18,22). Sie sollten nach den von Jitro in 2Mose 18,21 definierten Anforderungen tüchtig, gottesfürchtig, wahrheitsliebend und ungerechten Gewinn hassend sein. Dieses Anforderungsprofil passte vermutlich nur teilweise auf die oben beschriebenen Anführer,4 die wohl auch mit praktischen Aufgaben genügend ausgelastet waren. Somit ist es naheliegend, dass es eine Parallelstruktur mit einerseits organisatorischen Anführern (שֹׁטֵר SchoTheR) und andererseits über Gesetzesfragen urteilenden Richtern (שֹׁפֵט SchoPheTh) gab.5 Letztere orientierte sich m.E. an der schon vorhandenen Struktur der Anführer zuzüglich eines Richters über zehn Mann.

Nach den vorstehenden Ausführungen stelle ich an dieser Stelle folgende erste These auf, die ich für die weiteren Berechnungen zugrunde lege: Es bestand beim Auszug aus Ägypten eine Organisation in Gruppen zu 50 Mann, die sich dann bis zum ersten Zensus auf die in Abschnitt ‎3.1 ermittelten Gruppengrößen von durchschnittlich 40,6 Mann reduziert haben. Diese Gruppen bildeten die Heereseinheiten, die beim ersten Zensus mit ÄLäPh bezeichnet wurden.

  • 1 Joshua J. Mark: „Ancient Egyptian Architecture“ (2016), in: World History Encyclopedia, Url: www.worldhistory.org/Egyptian_Architecture/ , 5. Überschrift “The Old Kingdom & the Pyramids” (Aufruf: 14.11.2022)

    2 Wie eine solche Reorganisation abgelaufen sein könnte, wird in Abschnitt ‎5.7.4 beschrieben.

    3 Vgl. Flavius Josephus in: Jüdische Altertümer. Wiesbaden. Fourier. [o.J.], S. 114f, 2. Buch, 10. Kapitel, 2. Abschnitt

    4 Möglicherweise war der von Mose vor seiner Flucht ermahnte Hebräer, der seinen Nächsten schlug (2Mose 2,13-14) ein solcher Anführer.

    5 Diese beiden Begriffe werden auch nebeneinander in 5Mose 16,18 und Jos 8,33 genannt.