Es gibt für das Wort אַלּוּף (ALUPh) mit der Bedeutung „Sippenoberhaupt“ auch die kurze Schreibweise אַלֻּף (ALuPh). Hier war der Vokal „u“ im ursprünglichen Konsonantentext nicht durch einen eigenen Vokalbuchstaben angegeben, sondern er wurde nur mündlich durch die Aussprache überliefert. Deshalb ist er in der Umschrift kleingeschrieben. Erst im 6. bis 8. Jh. n. Chr. wurden mit der Punktierung durch die Masoreten auch die Vokale schriftlich festgehalten. Für das „u“ wurde dabei das Zeichen ֻ    (drei diagonal angeordnete Punkte) unter den vorausgehenden Konsonanten gesetzt.1 Die kurze Schreibweise אַלֻּף (ALuPh) kommt im heute vorliegenden punktierten hebräischen Text des AT viermal vor (1Mose 36,30; Sach 9,7; Sach 12,5+6). In 1Mose 36,30 ergibt sich aus dem Kontext die nicht zu אַלֻּף (ALuPh) passende Bedeutung „Sippe“. Dieses Vorkommen untersuche ich deshalb separat in Abschnitt ‎7.3.2.4. Die beiden Vorkommen in Sach 12,5+6 sind nach dem Kontext eindeutig als „Oberhäupter“ oder „Anführer“ innerhalb des Stammes Juda zu verstehen. Eberfelder übersetzt z.B. mit „Fürsten“ und gibt in einer Fußnote an: „o. Anführer, w. Tausendmänner“. Etwas schwieriger ist die Deutung von אַלֻּף (ALuPh) in Sach 9,7.2 Dort kommt man aber ebenfalls zur Bedeutung „Anführer“, wenn man in Sach 9,6 das Wort מַמְזֵר (MaMŞeR) wie in der Schlachter 2000 (und in der Fußnote in der Elberfelder 2006 als wörtliche Übersetzung angegeben) mit „Bastard“ übersetzt:

6 Und ein Bastard [wörtliche Übersetzung laut Fußnote, statt „Mischvolk“] wird in Aschdod wohnen [vermutlich als Herrscher]. So werde ich den Hochmut der Philister ausrotten. 7 Und ich werde seine blutigen Fleischbrocken aus seinem Mund wegreißen und seine abscheulichen Stücke zwischen seinen Zähnen hinweg. So wird auch er [der Bastard] unserem Gott übrigbleiben und wird sein wie ein Anführer [mögliche Übersetzung von אַלֻּף (ALuPh) laut Fußnote, statt „Stammverwandter“] in Juda …

(Elberfelder 2006 mit fettgedruckten Abweichungen, [Einfügungen: M.K.])

Die Philister-Stadt Aschdod grenzt an das Land Juda an und wird in dieser (von der Prophezeiung aus zukünftigen) Zeit wohl von Juda unterworfen sein. Der Bastard könnte aus einer Mischehe zwischen Juden und Philistern stammen – Gesenius übersetzt: „Kind aus verbotener Ehe, Mischling“3 – und die Regierung dieser Stadt an sich reißen, was für die Philister eine Demütigung darstellt. Nachdem er dazu gebracht wurde, sich an die jüdischen Speisevorschriften zu halten – blutiges Fleisch war verboten – und Gott zu dienen, wird er als Anführer der Einwohner von Aschdod Juda Heerfolge leisten. Damit wird er als Anführer in Juda gerechnet wie die in den beiden Vorkommen in Sach 12,5+6 Genannten. Durch diese drei Vorkommen der kurzen Schreibweise lässt sich nachweisen, dass neben der langen (אַלּוּף ALUPh) auch die kurze Schreibweise (אַלֻּף ALuPh) mit der Bedeutung „Sippenoberhaupt“ oder „Anführer“ vorkam. Es liegt also kein Bedeutungsunterschied zwischen langer und kurzer Schreibweise vor.

Inwieweit eine Fehldeutung der kurzen Schreibweise אַלֻּף (ALuPh) bei der Entstehung der überhöhten Zahlen eine Rolle gespielt haben könnte, untersuche ich in den folgenden Abschnitten.

  • 1 Die Entstehung einer solchen unterschiedlichen Schreibweise habe ich in Abschnitt ‎6.2.1 (Fußnote 1) am Beispiel des Vokals „o“ in dem Begriff „בְּכוֹר (BöKhOR = Erstgeborener)“ näher erläutert. Dasselbe Prinzip gilt auch bei אַלּוּף (ALUPh) für den Vokal „u“. Auch dieser Vokal wurde schon früh in bestimmten Fällen durch den Konsonanten ו (WaW) angedeutet. Dieser wurde neben seiner konsonantischen Bedeutung „W“ sowohl für „O“ als auch für „U“ verwendet. Mit Einführung der Punktierung durch die Masoreten wurde für die mündlich überlieferte Aussprache „u“ bei fehlendem ו (WaW) das Zeichen ֻ  (Qibbus) unter den vorausgehenden Konsonanten gesetzt. Bei vorhandenem ו (WaW) wurde dieses mit einem Punkt in der Mitte versehen: וּ . Dieses Zeichen heißt Schureq (vgl. Jenni: Lehrbuch der hebräischen Sprache des Alten Testaments. S. 21-22 u. 32-33). Wie im Beispiel בְּכוֹר (BöKhOR) gezeigt, wurden beide Schreibweisen bei gleicher Bedeutung auch im engen Textzusammenhang völlig willkürlich verwendet.

    2 Aufgrund des schwer verständlichen Zusammenhangs wird אַלֻּף (ALuPh) in Sach 9,7 ganz unterschiedlich übersetzt: Luther 2017: Verwandter; Schlachter 2000: Geschlecht; Neue evangelistische (bis 2019): Sippe; Zürcher: Stammeshaupt; Elberfelder 2006: Stammverwandter (Fußnote: o. Anführer, Fürst, w. Tausendmann)

    3 Vgl. Gesenius, Hebräisches Handwörterbuch, S. 690, מַמְזֵר